„Militante Minderheit“ – Julia Ruhs rechnet mit Intriganten des NDR ab

Eigentlich sollte „Klar“ ein Hoffnungsträger für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden. Ein Reportageformat, das auch Themen aufgreift, die im NDR und in anderen ARD-Redaktionen oft nur am Rande vorkommen: Migration, die Wut vieler Bauern, der Streit um Corona. Julia Ruhs, 31 Jahre alt, war das Gesicht dieses Projekts. Für sie eine Herzensangelegenheit, wie sie nun in einer Kolumne bei Focus Online schreibt: „Wir wollten den Öffentlich-Rechtlichen besser machen.“
In ihrem Text schildert Ruhs, wie eng sie mit dem Format verbunden war. Sie habe von Beginn an an der Entwicklung mitgearbeitet, Moderationstraining absolviert und ein Team zusammengestellt, das „aus Menschen mit dickem Fell besteht“. Das Ziel sei gewesen, konservativere Zuschauer und Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu erreichen: „Wir wollten den Öffentlich-Rechtlichen besser machen.“
„Ich war für die Glaubwürdigkeit des Formats da“, betont Ruhs. Für viele Zuschauer sei sie eine bekannte und vertrauenswürdige Stimme gewesen, auch durch ihre Kolumnen, Kommentare und Social-Media-Präsenz. Doch nur wenige Monate nach dem Start ist Ruhs beim NDR Geschichte. Zwar geht das Format weiter, doch moderieren wird für den NDR künftig Tanit Koch, frühere Bild-Chefredakteurin und RTL-Managerin. Ruhs bleibt als Moderatorin nur noch beim Bayerischen Rundfunk erhalten, der Partner des Projekts ist. Für sie ist klar: „Mein Rauswurf beim NDR war politisch.“
Lob vom Publikum, Widerstand im SenderRuhs kann sich auf Zahlen stützen. Eine repräsentative Zuschauerbefragung nach drei Folgen bescheinigte dem Format hohe Akzeptanz: Rund zwei Drittel der Befragten gaben „Klar“ Bestnoten, 65 Prozent hielten Ruhs für die passende Moderatorin. „Jackpot“, nennt sie das. Auch das Publikum in den Kommentarspalten feierte die Reihe: ein „Candystorm“ in Ruhs’ Worten.
Doch intern wurde das Klima rau. Bereits nach der ersten Sendung über Migration bildeten sich geheime Chatgruppen, es kursierten Unterschriftenlisten, fast 250 Mitarbeiter unterzeichneten einen Protestbrief. Der Tenor: Das Format sei einseitig, oberflächlich, verletze journalistische Standards und schade dem Ruf des NDR. Auf den Fluren soll es bald geheißen haben: „Die Julia muss weg.“
„Wir haben die Gesellschaft nicht gespalten“Besondere Brisanz bekam der Konflikt, als Anja Reschke, langjährige „Panorama“-Moderatorin und linke Galionsfigur, in ihrer eigenen ARD-Sendung über die AfD sprach – und dabei mit einem Seitenhieb auch „Klar“ ins Visier nahm. Eine Handpuppe sagte, im ÖRR müsse man nun auch „ein bisschen rechtsextreme“ Meinungen zulassen. Reschke blickte in die Kamera, hob die Augenbraue und erwiderte: „Ja. Klar.“ Eine unmissverständliche Unterstellung: Reschke bezeichnete „Klar“ und damit Ruhs als rechtsextrem. Nach Recherchen des Onlinemediums Nius war die Passage vorab mit der Senderführung abgestimmt worden. Ruhs sieht darin eine bewusste Kampagne: „So wird öffentlich suggeriert, wir würden rechtsextreme Positionen vertreten.“ Eine klare Distanzierung der NDR-Spitze blieb aus.
Ruhs weist den Vorwurf zurück, „Klar“ habe polarisiert. Selbst 49 Prozent der Grünen-Wähler hätten das Format positiv bewertet, bei Anhängern von CDU, SPD und AfD lag die Zustimmung bei rund 70 Prozent. „Es scheint nur eine militante Minderheit zu sein, denen unser Format gegen den Strich geht“, schreibt sie. Der vielfach kritisierte Einstiegssatz der Migrationssendung („Was jetzt kommt, wird vielleicht nicht jedem gefallen“) sei harmlos gewesen – schließlich benutze sogar die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt ähnliche Formulierungen in ihren Videos. Dass ihr trotzdem mangelnde Differenzierung vorgeworfen wird, empfindet Ruhs als vorgeschoben: „Jede Zeile wurde mehrfach abgenommen – ich hatte nie das letzte Wort. Ich war das Gesicht der Sendung und Reporterin.“
Berliner-zeitung